Verloren

Veröffentlicht am 25. November 2011 um 10:27

Hallo Welt.



Hast du schon mal jemanden verloren? Jemanden, der dir ganz furchtbar ans Herz gewachsen war? Einen guten Freund, ein Familienmitglied? Wie geht man mit sowas um? Wie lernt man, neu zu leben?

Ich weiß jetzt, dass meine Schwermut am 17.11. kein Herbstblues, sondern eine Vorahnung war. Am dem Abend wurde vor unserer Türe mein geliebtes kleines Katertier überfahren. Ich stand daneben.

Ich weiß, einige werden jetzt vielleicht die Augen verdrehen und sagen „Ja, Mensch, war doch nur eine Katze.“

Aber die von euch, die ebenfalls ein vierbeiniges Familienmitglied haben, wissen, wie es mir geht. Ich meine nicht die Haustiere, die da und ganz niedlich sind. Nein. Ich meine die Haustiere, die zur Familie gehören, die ständig anwesend sind, die an unserem Leben teil nehmen, ein Teil von uns sind und immer für uns da waren. Ab einem gewissen Punkt wird es ganz egal, ob dieses Familienmitglied zwei oder vier Beine hat.

Dieses kleine rote Familienmitglied hatte vier Beine. Ich habe ihn mehr als geliebt, denn er war mein Baby, mein Moppel, mein Lebensgefährte, mein bester Freund. Ich hatte so gehofft, wir hätten noch viele viele Jahre zusammen. Ich hatte mir vorgestellt, wie er mit mir meine Kinder groß zieht.

Stattdessen war er im Dunkeln zu schnell in einer 30er Zone unterwegs.

Es war das traumatischste Erlebnis, das ich in diesem meinem Leben erfahren habe. Vielleicht könnte man sagen, dass ich Glück hatte, dass ich 30 Jahre lang über diesen Planeten gewandelt bin, ohne Wesen verloren zu haben, die mir sehr nahe standen. Mag sein. Verringert aber meinen subjektiven Leidensdruck überhaupt nicht.

Wir wurden von unserem Nachbarn zum Tierarzt gefahren. Er wartete dort mit uns. Er war für uns da. Das werde ich ihm und seiner Frau nie vergessen. Es war die schrecklichste und längste halbe Stunde in meinem Leben. Und die lief auf eine noch viel schrecklichere Entscheidung hinaus. Oh Gott, ich kann nur allen sagen, unterschreibt eine Patientenverfügung! Eine solche Entscheidung zu treffen, wünsche ich niemandem.

Ich musste mein Baby gehen lassen. Und ich weine, während ich dies schreibe, denn er war wirklich mehr, als man sich vorstellen kann. Er war mein ein und alles. Und ihn so sehen zu müssen, ihn so leiden und sterben zu sehen, war so unglaublich grausam.

Wir nahmen ihm wieder mit nach Hause. Wir begruben ihn noch in der Nacht. Mit seinen Spielzeugmäusen und seinem Lieblingskuscheltier Hugo. Im Garten, genau neben dem Loch in der Hecke, durch das er immer verschwunden war, wenn er Ausflüge machte. Jetzt steht eine Statue von einem kleinen Jungen auf seinem Grab, direkt neben einer Laterne, die für ihn die ganze Nacht brennt.

Wir haben viel geweint, etwas getrunken und wenig geschlafen in dieser Nacht. Ein guter Freund von uns war da, der ebenfalls mit uns durch dieses Jammertal gewandert ist. Schon merkwürdig, wie schnell Mischa es immer schaffte, jeden für sich zu gewinnen. Man musste ihn einfach lieben.

Die nächsten Tage waren der Horror für mich. Ich fing ständig an zu heulen, fand immer noch Spielzeug, Bürsten, starrte auf den Küchenboden, sah ihn noch auf der Straße liegen. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Und es wird lange dauern, bis die Straße vor unserer Haustüre ihren Schrecken für mich verloren haben wird.

Noch ist alles zu frisch und ich darf nicht zu sehr darüber nachdenken, sonst muss ich nur weinen. Aber bald werden wir ein wunderschönes Foto von Mischa raus suchen und es aufstellen. Vergessen werden wir ihn nie. Aber er war einfach zu hübsch, als dass man nicht mindestens ein Foto von ihm hin stellen möchte.

Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, wenn ich in die Küche gehe, wenn ich zur Toilette gehe, jedes Mal, wenn Marie – KlippKlapp- durch die Katzenklappe klettert, jedes Mal, wenn ich im Bett liege, wenn ich in den Garten gehe oder auf der Couch sitze, fehlt er einfach nur. Er hinterlässt ein schreckliches Loch, auf das ich noch nicht vorbereitet war. Ich vermisse ihn furchtbar.

Viele liebe Menschen waren in den letzten Tagen für uns da. Die, die uns nahe stehen, wissen, was unsere Katzen uns bedeuten. Wir bekamen Nachrichten, Anrufe, Beileidsbekundungen, Besuche. Es ist wirklich rührend, wie viel Mitgefühl der Tod dieses kleinen Wesens hervorgerufen hat. Ich bin euch allen sehr dankbar für eure Unterstützung. 1000 Dank.

Jetzt, eine Woche später, kann ich schon wieder fröhlich sein, wenn ich nicht zu viel an meinen dicken Moppel denke. Fehlen tut er rund um die Uhr, aber ich versuche, mich abzulenken. Ich gucke viel Sitcoms, lese, rede über dies und das. Nur nicht nachdenken. Nicht zu viel.

Es ist das erste Mal, dass ich ein so innig geliebtes Wesen, einen so in meinem Leben präsenten Schatz gehen lassen muss. Wie geht man damit um? Was kann man tun, damit es aufhört, weh zu tun? Wie kann ich weiterleben und so tun, als wäre nichts?

Ich will das nicht verdrängen, nein, ich weiß, das bringt gar nichts. Ich habe mich in den Schmerz fallen lassen, ihn aufgesogen, sämtliche Widerstände gehe lassen. Ich bin knochenlos, formlos, Bambus im Wind. Ich bin nur Masse, nur da und nehme an, was kommt. Wenn ich weinen muss, dann weine ich. Wenn ich an ihn denke, dann liebevoll und voller Dankbarkeit. Ich kämpfe nicht. Ich verleugne nicht. Ich bin nur hier. Genau hier.

Ich weiß, dass dieser bescheuerte Kater mein Leben so immens bereichert hat, dass man es nicht in Worte fassen kann. Ich weiß, dass dieses Tier mir immer nur gedient hat. Er war für mich da. Und er hat nie etwas getan, was nicht auch einen Sinn gehabt hat.

Ich glaube daran, dass sein Tod kein Zufall war. Ich glaube daran, dass er mir mit seinem Tod dient. Ich habe keine Ahnung, wie genau, aber ich glaube daran, dass das einen Sinn hat. Vielleicht verstehe ich ihn nicht, vielleicht werde ich es nie verstehen. Aber mein Verstand ist hier kein guter Wegweiser. Mein Herz aber, mein Herz schlägt immer noch für den roten Prinzen und wird es weiter tun. Und mein Herz sagt mir, dass er mir mit seinem Tod ein Geschenk gemacht hat. Ich weiß wirklich nicht, was das für ein Geschenk sein soll, aber ich nehme es an. Keine verfickten Widerstände!

Wer weiß, vielleicht hat er mir etwas abgenommen. Oder er bereitet mich auf etwas vor. Vielleicht will er mich stärken. Oder er will auf anderem Weg zurück kommen, um wieder bei uns zu sein.

Ich muss daran glauben, dass das alles einen Sinn hat, den mein menschlicher Verstand noch nicht fassen kann.

Einige Tage nach dem Schreckensunglück habe ich den Sonderchannel von Tobias zum Thema Haustiere raus gekramt. Ich hab mir den schon vor Jahren geholt und immer mal wieder gelesen. Diesmal wollte ich Gewissheit haben. Tobias wurde in dem Channeling durch einen Brief gefragt, wie man den emotionalen und physischen Schmerz bewältigen kann, nachdem ein geliebtes Tier, auch diesem Falle eine Katze, gestorben ist. Er sagte, durch das Verständnis, dass wenn wir ein Haustier verlieren, es für die Tiere viel leichter ist. Menschen tendieren dazu, sich so viele Sorgen zu machen: Wird es meinem Haustier gut gehen? Egal, ob sie in die Wildnis zurückkehren oder auf die andere Seite, sie sehen den Tod nicht, wie Menschen das tun. Sie haben diese Ängste, was das betrifft nicht.

Das Beste also, was wir machen könnten, meinte er, sei zu wissen, dass es ihnen gut geht. Und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass sie, wenn wir es so wählen, zu uns zurück kommen werden. Sie können neu geboren werden, sie können Teil von einem Tier werden, das wir aus dem Tierheim holen, auch wenn dieses Tier älter ist, als das Verstorbene, sie können um uns sein, um uns zu dienen.

Dieser absurde Gedanke, tröstet mich. Ich spüre, dass er noch da ist. Ich spüre sein weiches Fell, höre seine unverwechselbare Art, zu maunzen, ich weiß, er ist noch da. Und vielleicht findet er einen Weg, zu mir zurück zu kommen. Egal ob als Hund oder Fledermaus, ich würde ihn erkennen.

Und bis dahin ist Marie ja noch da. Marie, Mischas kleine Schwester, die seit seinem Verschwinden ständig da ist. Eigentlich ist sie nicht so der anhängliche Typ. Sie verprügelt lieber die Nachbarskatzen und streift um die Häuser. Doch seit einer Woche ist sie bei uns, maunzt, schmust, kuschelt, schnurrt. Sie ist viel anwesender als früher und viel näher dran. Vielleicht hat sie jetzt einfach mehr Platz, um präsent zu sein, jetzt wo der kleine Prinz fort ist. Vielleicht spürt sie unsere Trauer und will für uns da sein. Vielleicht möchte sie selbst getröstet werden. Oder vielleicht, nur vielleicht, ist Mischa ein Teil von ihr geworden. Ich möchte gerne daran glauben.

Wenn du ähnliches durch gemacht hast und Abschied nehmen musstest, egal, ob von einem Wesen mit zwei oder vier Beinen, lass mich wissen, wie du damit umgehst. Wie bewältigst du die Trauer? Was tust du, um wieder zu funktionieren? Ich würde mich sehr über Nachrichten von euch freuen.

Und bis dahin wünsche ich allen Hinterbliebenen wahnsinnig viel Kraft und Liebe. Hier kann man nicht trösten. Hier kann man nur füreinander da sein. Denkt daran, vielleicht kommen sie zurück.





Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.