Das Wetter hat sich schon wieder geändert, jetzt ist es wieder sonnig und warm, um nicht zu sagen schwül und klebrig. Ich habe eine interessante Woche hinter mir. Ich hoffe, du auch.
Das mit der „sanften Wahrheit“ funktioniert ganz gut. Egal ob Partner, Chef, Familie – bisher hat mich noch niemand für meine Ehrlichkeit geköpft. Im Gegenteil, ich habe positives Feedback bekommen und fühle mich viel ausgeglichener und ruhe mehr in mir selbst. Es macht auch einfach keinen Spaß alles in sich rein zu fressen, oder??
Allerdings wäre ich nicht ich, wenn ich nicht schon längst eine andere Herausforderung im Alltag entdeckt hätte, über die es sich zu sprechen lohnt.
Die, die mich kennen, wissen vielleicht, dass eines meiner Lebensmottos (ich mag mich nicht so festlegen) der nette Spruch ist „Akzeptiere das So-Sein!“. (Meist mit indischem Akzent ausgesprochen und mit Namaste-Geste. Ich stehe auf Konfuzius!)
Prinzipiell ganz nett und offensichtlich auch alltagstauglich, stoße ich hier an Grenzen. Nicht an emotionale, nein an rationale.
Im Herzen ist mir völlig klar, dass das Beste, was ich für meine Mitmenschen tun kann, die absolute Akzeptanz ihres Wesens ist. Jeder von uns möchte doch einfach nur so gesehen werden, wie er oder sie ist, nicht wahr? Jeder von uns weiß, wie scheiße es ist, wenn Andere einem den eigenen Willen aufdrängen wollen, Überzeugungen mitbringen, die sie einem aufdrücken möchten oder einen immer wieder darauf hinweisen, dass man eben nicht ihren Erwartungen entspricht. Und überhaupt – resultieren nicht die meisten Probleme aus der Tatsache, dass es so viele Menschen in unserem Leben gibt? Eltern, Partner, Freunde, Kollegen, Chefs – alle haben ihre Erwartungen, ihre Forderungen an uns. Nein, es scheint doch wirklich nicht zu viel verlangt, so angenommen zu werden, wie man ist!
Oder?
Irgendwie funktioniert dieses Prinzip meist nur in eine Richtung. Denn wenn man die Perspektive wechselt, stellt man doch relativ schnell fest, dass man Andere nur zu gerne erzieht und sich 1000% sicher ist, dass man es besser weiß! Wir bestrafen sogar mit Vorliebe, um den Gegenüber zu erziehen! Ganz besonders Fremde!
Wer von euch hat da gerade „ich nicht!“ gerufen???
Es fängt schon mit Kleinigkeiten an. Hier mal ein Beispiel, dass die meisten von euch kennen werden:
Du bist im Auto unterwegs, sagen wir mal auf einer Landstraße, auf der man 70 h/km fahren darf. Du fährst schon 80 h/km und dann kommt von hinten so ein nerviger Drängler und fährt dir dicht auf. Was tust du?
Also ich persönlich trete kurz auf die Bremse. Dadurch erschrickt der Hintermann meist und hält dann mehr Abstand. Ich will ihn erziehen! Fährst du Idiot mir dicht auf, pass bloß auf, dass du mir nicht hinten rein fährst, dann ist dein schönes Auto nämlich hin! So!
Ein anderes Beispiel. Auch gerne und oft genommen. Dein Kind (hier könnte auch der WG-Mitbewohner, der Partner oder sonst wer eingesetzt werden) ist ein absoluter Chaosvertreter. Das Zimmer sieht immer aus wie sau, du hast schon mindestens 100x gesagt, es soll aufräumen. Was tust du?
Irgendwann platzt dir der Kragen und du gehst mit einer blauen Mülltüte durch das Zimmer, entsorgst, was dir nicht wichtig erscheint und räumst den Rest auf den Speicher. Wenn du nicht Ordnung halten kannst, nehme ich dir alles weg, dann kannste nicht mehr unordentlich sein! So!
Gut, hier höre ich einige von euch murmeln, dass das ja Erziehung ist und man als Elternteil nun mal dafür zuständig…. ja ja, schon klar.
Gutgut. Wie wäre es hiermit?
DeinE PartnerIn hat dir versprochen, dich auf eine Geburtstagsfete zu begleiten. Einen Abend vorher stellt er/sie aber fest, dass er/sie lieber mit den Jungs einen drauf machen will /mit den Mädels Cocktails trinken gehen möchte. Was tust du?
Du streitest dich wahrscheinlich und entziehst deinem Partner / deiner Partnerin für´s erste deine Liebe. Das muss er/sie erstmal wieder gut machen! So!
Wie? Auch das findest du normal??
Na ja, wahrscheinlich hast du recht. Alle diese Situationen sind nicht ungewöhnlich. Und die meisten von uns werden so oder so ähnlich reagieren. Wir versuchen, die Menschen in unserem Umfeld zu unseren Gunsten zu erziehen. Manchmal auch mit Recht und offiziell. Ich habe eine 4jährige Ausbildung gemacht, in der mir jeden Tag beigebracht wurde, Menschen mit Behinderungen (egal ob erwachsen oder nicht) zu erziehen.
Wo das Problem ist, fragst du mich?
Ganz einfach: Es geht nur eines von beidem. Entweder ich akzeptiere meinen Gegenüber so, wie er ist oder ich erziehe ihn. Jetzt stellt sich mir die Frage, mit welchem Recht ich versuche, andere nach meinen Vorstellungen zu formen. Wer hat damit angefangen? Und warum betrachten wir alle das als normal??
In meinem Beruf arbeiten wir zurzeit mit einer Psychologin zusammen. Und diese Frau hat gestern gesagt
„Ihre Aufgabe ist es nicht, zu erziehen, ihre Aufgabe ist es, zu verstehen!“
Uff. Echt? Was mache ich dann hier den ganzen Tag?? Das hat gesessen und ich kam ans denken. Auch meine Kolleginnen waren teils vor den Kopf gestoßen. Was bedeutet das? Soll ich alles mit machen? Bin ich hier der Bimbo, nach dem Motto, ja wenn er oder sie nun mal gerne mit Poo-poo wirft, bitte!?
Es ist schon merkwürdig, diese „Akzeptanz des So-Seins“ sagt sich so leicht, aber mir war nie aufgefallen, dass sich das mit meiner tagtäglichen Praxis widerspricht.
Die Umsetzung ist ja auch nicht immer leicht. Wie oft haben wir uns nach einem Streit schon vorgenommen, beim nächsten Mal nicht mehr so laut zu werden, der Wut nicht mehr nachzugeben? Wem als Elternteil in der Erziehung schon mal die Hand ausgerutscht ist oder bei Streit gerne mal mit Tellern wirft, wird das kennen. Ganz, ganz fies.
Woher kommt dieser innere Widerstand, dieser Drang, Recht haben zu wollen, dem Anderen zeigen zu müssen, dass man selbst am längeren Hebel sitzt?? Wieso nehme ich es dem Autofahrer hinter mir so schrecklich krumm, dass er meiner Meinung nach scheiße Auto fährt?
Oder besser: Warum können wir nicht einfach alle anderen so sein lassen, wie sie sind? Leben und leben lassen, oder wie?
Wir nehmen vieles viel zu persönlich, was mit uns gar nichts zu tun hat.
Fährt der Autofahrer hinter mir dicht auf, um mich persönlich, Conny Eilbrecht, zu ärgern? Nein.
Macht mein Kind Unordnung, weil es mir einen rein würgen will? Nein.
Geht mein Partner mit den Jungs einen drauf machen, weil er mich verletzen will? Nein.
Warum fühlt es sich dann so an?
Wir Menschen haben noch von Uhrzeiten her diesen extremem Selbstschutzmechanismus. Alles, was kacke ist, vermeiden, alles, was super ist, vermehren. So haben wir überlebt, uns fort gepflanzt, das Leben gemeistert. Unser Unterbewusstsein weiß ja nicht, dass der Autofahrer hinter uns lediglich ein kleines Ärgernis der Neuzeit darstellt und keine grundlegende evolutionäre Störung, die uns das Leben kosten kann. Verrückt, oder nicht?
Können wir nicht einen anderen Weg finden, einen der weniger anstrengend und Energie zehrend für uns ist? Mal abgesehen davon, dass der Autofahrer, unser Kind und unser Partner uns auch nicht im Glorienschein wahr nehmen, wenn wir so rum zicken?
Hmmm. Da muss es doch was geben…
Ich habe mich gefragt, was mir helfen würde, in solchen Momenten wieder runter zu kommen. Und habe mir selbst einen Notfallbrief geschrieben. Die klare Conny schreibt an die wütende Conny einen Brief. Und der lautet so:
Notfallbrief an mich selbst
Folgende Punkte sind dringend zu beachten, wenn du Jemanden gerade aussetzen, erziehen oder zum Mond schießen möchtest:
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ATMEN! Mindestens 5x tief ein und aus!!!
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Deine Aufgabe ist es nicht, andere zu erziehen, sondern sie zu verstehen!!!!!!
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Es gibt für dieses Verhalten nicht nur eine Erklärung. Alles im Leben ist multifaktoriell, heißt, es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle.
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Wenn jemand schreit haben wir ihn nicht verstanden! Das Ziel ist es, dein Gegenüber zu verstehen.
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Kommunikation ist alles, alles ist Kommunikation!
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Der Mensch ist ein Entwicklungswesen.
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Nimm nichts persönlich! Das Handeln des Anderen sagt mehr über ihn aus, als über dich!
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Fuck it!
Nimm diese Aktion nicht persönlich. Er/Sie braucht nicht anders handeln, als er/sie es tut. Lass ihn/sie sein wie er/sie ist!! Akzeptanz des So-Seins!!!
Diesen Brief habe ich in meiner Nähe und ich hoffe, wenn ich das nächste Mal jemanden erziehen will, denke ich daran, einfach kurz raus zu gehen und ihn zu lesen (ja gut, vielleicht nicht beim Auto fahren).
Es gibt immer mehrere Lösungen für ein Problem. Dran denken:
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Alles im Leben ist multifaktoriell, heißt, es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle.
Ich kann, wenn mir ein Autofahrer auf den Sack geht, rechts ran fahren und ihn vorbei lassen.
Ich kann, wenn mich das Chaos im Zimmer meines Kindes nicht los lässt, gemeinsam mit ihm aufräumen, aussortieren, reden oder einfach mal etwas Chaos zu lassen. Ist doch nicht mein Zimmer, oder?? Jeder hat nun mal einen eigenen Ordnungssinn. Darüber darf ich mich nicht hinweg setzen! (musste ich auch erst lernen…)
Ich kann meinem Partner ruhig und friedlich sagen, dass ich von ihm enttäuscht oder traurig bin und mich auf den gemeinsamen Abend gefreut habe. Ich kann ihn auf ein anderes Datum festnageln, an dem er nur Zeit für mich hat. Oder ich kann ihn verführen und wir gehen beide nicht aus. ;-)
Es gibt immer eine andere Möglichkeit.
Aber auch wenn ich noch im Lernprozess stecke, ich weiß jetzt, dass es keinen Sinn macht, niemandem hilft und nicht angebracht ist, andere zu erziehen. Ob mit Behinderung oder nicht, ob Kind oder erwachsen. Wir können vorleben, reden, erklären, deutlich machen, zusammen arbeiten. Aber von oben her einen anderen erziehen? Wo bleibt denn da die Augenhöhe?
Ich weiß, das geht nicht von heute auf morgen. Ich werde sicher noch einige Autofahrer verfluchen oder mit Tellern schmeißen. Aber ich glaube, ich habe eins verstanden:
Wir alle sind, wer wir sind. Und das ist unser gutes Recht!
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